Künstliche Intelligenz im Proberaum

Klavier, Flöte, Trompete: Eine in Mecklenburg-Vorpommern entwickelte App soll das Instrumentenspiel erleichtern

Mehr Klangvielfalt im Musikkzimmer: Ein Start-up aus Mecklenburg-Vorpommern holt künstliche Intelligenz in den Probenraum. Klavier, Geige, Flöte, Oboe, Tuba, Posaune, aber auch Trompete, Alt- und Tenor-Saxophon: Firmengründer Tiberius Treppner und Evgeniy Koryagin vom IT-Unternehmen Halbestunde aus Siedenbüssow in Vorpommern haben eine App für mobile Endgeräte entwickelt, mit der sich das selbstständige Üben von Musikstücken für verschiedene Musikinstrumente begleiten und unterstützen lässt. Nach mehrjähriger Entwicklungszeit kann mit dem Programm mittlerweile das Spiel von etwa zehn Instrumenten geübt werden – und es werden noch mehr.

Unterricht per Touchscreen: Für die Musikstunde per App werden speziell entwickelte und trainierte Algorithmen eingesetzt, die das Einscannen von Notenblättern und das Abspielen der digitalisierten Musikstücke ermöglichen sollen. Inzwischen seien von Nutzern mehr als 100 000 Notenblätter ins System gebracht worden, die den Algorithmus immer weiter lernen lassen, heißt es. Gleichzeitig wolle Halbestunde eine eigene Bibliothek für Musikstücke aufbauen, die über die App abgespielt und eingeübt werden können.

Das kommt an: Bislang registrierte Halbestunde mehr als 250 000 Downloads der App und erste zahlende Kunden. Aus mehr als 100 Ländern, erklärte Treppner. Die meisten kämen aus den USA. Die deutsch- und englischsprachige App solle schon bald auch in japanischer Sprache das Instrumentenspiel erleichtern. Nach der Gründungsphase erwarte das Start-up in den kommenden Monaten nach eigenen Angaben „signifikante Umsatzsteigerungen“.

Neben Wachstum setze er vor allem auf Profitabilität, sagte Treppner. Der Markt sei groß: Allein in Deutschland würden mehrere Millionen Hobbymusiker und Fortgeschrittene regelmäßig das Instrumentenspiel üben. „Der Markt ist noch immer unterschätzt“, malt sich Treppner große Geschäftschancen aus, vor allem bei Musikliebhabern mit ersten Grundlagen fürs Instrumentenspiel. „Die App bringt hingegen keine Noten bei“, erklärte Treppner.

Aus der Freizeitbeschäftigung zu Schulzeiten von Treppner ist mittlerweile einer der führenden Anbieter entsprechender App-Lösungen geworden. Die Möglichkeiten bisheriger App-Lösungen blieben hinter der vorpommerschen Entwicklung zurück. Die Software von Halbestunde könne jede Note auf Musiknotenblättern erkennen, digitalisieren und den Schülern vorspielen lassen, auch getrennt für die rechte und linke Hand – ein bislang einzigartiges Angebot, sagte Treppner. So ließen sich ganze Melodien vorspielen und Musikstücke und Begleitinstrumente besser erlernen: von einfachen Musikstücken bis zu anspruchsvollen Werken wie etwa von Rachmaninow oder Chopin. Die Musikstücke ließen sich im Ganzen oder abschnittsweise, wiederholt in Schleifen oder mit angepasstem Tempo abspielen.

Und der Algorithmus lernt weiter: Künftig soll die Software in der Lage sein, die von Schülern gespielten Musikstücke online zu analysieren, auf Fehler hinzuweisen, Korrekturvorschläge anzubieten und Hausaufgaben zu erteilen. Dazu will Treppner in einer weiteren Finanzierungsrunde Kapital von privaten Geldgebern gewinnen. In der Vergangenheit konnte Halbestunde bereits bei einer Reihe von Kapitalgebern landen, darunter Investoren, die bereits selbst erfolgreich Tech-Startups aufgebaut und verkauft haben. Auch das Land hat dem jungen IT-Unternehmen Finanzhilfe gegeben. In der Startphase war der vom Land mit 15 Millionen Euro ausgestattete und von der Beteiligungsgesellschaft Genius Venture Capital (GVC) verwaltete Venture Capital Fonds MV eingestiegen. Als Ankerinvestor gebe Genius sowohl dem Unternehmen als auch den Co-Investoren die Ruhe und Sicherheit, die es für die kommerzielle Entwicklung von technologischen Innovationen brauche, meinte Genius-Chef Uwe Bräuer.

Treppner sieht seine App als Ergänzung, der Musiklehrer solle nicht ersetzt werden, meinte der 21-Jährige. Einst hatte er in der eigenen Klavierstunde Rhythmus- und Notenprobleme und suchte mehr aus Langeweile, wie er sagt, nach technischer Hilfe. Er und sein Mitgründer haben sie gefunden – preiswerter als eine Online-Musikstunde, zu jeder Tages- und Nachtzeit flexibel nutzbar. Der Musiklehrer bleibe aber auch künftig zentraler Dreh- und Angelpunkt: „Die Interpretation kann ein Musiklehrer besser“, meinte der Firmenchef.

Quelle: Schweriner Volkszeitung, 01.04.2023, Autor: Torsten Roth