Risikokapital für die frühe Gründungsphase

Tierwohl gehört zu den bestimmenden Zukunftsthemen. Größere Betätigungsfelder für Start-ups gibt es kaum woanders. Innovative Unternehmen in der Fleischwirtschaft können Risikokapital – auch VC genannt – von staatlichen und privaten Investoren erhalten. Wie das funktioniert, erläutert Geschäftsführer Uwe Bräuer von der Genius Venture Capital GmbH aus Mecklenburg-Vorpommern.

Herr Bräuer, sie sind als Risikokapitalgeber auch bei Innocent Meat und Planet-V involviert. Was hat sie bewogen, in diese beiden Unternehmen zu investieren?

Uwe Bräuer: Beide Unternehmen zielen mit innovativen Konzepten auf die Ernährungswirtschaft, einem riesigen, interessanten Markt. Bei Innocent Meat dreht sich alles darum, das Bedürfnis der Welt nach immer mehr tierischem Protein zu stillen, ohne dass dafür Kühe, Schweine, Fische oder Hühner erst gezüchtet und dann geschlachtet werden müssen. Die dort entwickelte Technologie soll Kunden in die Lage versetzen, zellbasiertes Fleisch in industriellen Dimensionen zu wettbewerbsfähigen Preisen zu produzieren. Solches „Clean Meat“ wird bei der Eindämmung der Massentierhaltung helfen und damit zur Reduzierung von Treibhausgasen beitragen. Planet V unterbreitet seinen Kunden mit bio-veganen Frischegerichten ein Angebot für eine gesunde und ausgewogene Ernährung. Die Gerichte sind zu 100 Prozent Bioqualität, werden weder pasteurisiert noch sterilisiert, kommen ohne Konservierungsstoffe aus und sind dennoch 24 Tage haltbar.

Welche Rolle spielen die Gründer?

Bräuer: Für unsere Investitionsentscheidung sind sie letztlich entscheidend. Laura Gertenbach von Innocent Meat, Govinda Thaler von Planet-V und ihre Mitgründer sind tolle, starke Persönlichkeiten. Sie brennen für das, was sie machen. Deswegen sind wir in beide Unternehmen mit jeweils sechsstelligen Beträgen eingestiegen.

Bringt es einen Vorteil, wenn ein staatlicher Risikokapitalgeber sich engagiert?

Bräuer: In der ganz frühen Phase geht es oft nicht ohne staatliche Unterstützung. Private Investoren scheuen da noch das Risiko, sind aber mitunter bereit, sich in einem Co-Investment zu engagieren. Nach den ersten Erfolgen tun sich institutionelle Investoren schon leichter. Selbst große Lebensmittelkonzerne werden dann aktiv. Nestle, Danone, Barilla&Co haben dafür eigene Finanzierungsgesellschaften, die Ausschau nach interessanten Start-ups auch in Deutschland halten. Sie alle wollen damit das eigene Produktportfolio verbessern. Zudem hilft es ihnen, Reputationsverluste auszugleichen.

Welche Themen sind für die Fleischwirtschaft künftig interessant?

Bräuer: Food ist ein Megatrend, wechselseitig beeinflusst von allen ökologischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Das hat auch die Fleischwirtschaft längst erkannt. Der Ersatz tierischer Produkte, so wohl rein pflanzen- als auch zellbasiert, steht bei vielen schon auf der Agenda. Beispielsweise ist die deutsche PHW Gruppe, zu der auch Wiesenhof gehört, am israelischen Start-up Supermeat beteiligt. Auch funktionelle Lebensmittel, die zusätzlich zu ihrem Nährwert einen positiven gesundheitlichen Zusatznutzen aufweisen, gehören zu den neuen Trends. Durch innovative Zutaten oder ganz neue Marketingansätze werden zudem bestehende Produkte verändert oder ersetzt. Zudem bedienen neue Formen des Konsums, Online-Bestellplattformen, Lieferdienste oder Kochboxen auch neue Konsumformate. Das ermöglicht ganz neue D2C-Konzepte („direct to costumer“). Sie geben Herstellermarken die Möglichkeit zur absoluten Kundenzentrierung ihrer Vertriebs- und Marketingaktivitäten. Zusammengefasst sind Klimawandel, Gesundheitsrisiken, gesellschaftliche Forderungen nach Tierwohl, Nachhaltigkeit und Qualität die bestimmenden Zukunftsthemen. Größere Betätigungsfelder für innovative Start-ups gibt es kaum woanders.

Wie sehen Sie den reinen Online-Lebensmittelhandel im Bereich Fleisch und Fleischwaren?

Bräuer: Der Onlinehandel boomt natürlich gerade, er gehört zu den größten Gewinnern der Coronakrise. Fakt aber ist, dass der Online-Lebensmittelhandel sehr große Investitionen verlangt, um das Geschäft ins Laufen zu bringen, profitabel zu machen und zu halten. Wie im normalen Paketdienst ist gerade die letzte Meile zum Kunden teuer. Bei Einkäufen von 70 Euro oder mehr rechnet sich da die Zustellung. Vor diesem Hintergrund halte ich eine einseitige Konzentration auf wenige Warengruppen für problematisch, vor allem dann, wenn Frische und Kühlung eine Rolle spielen. Letztlich ergeben Fleisch und Wurst noch kein ganzes Gericht und die Grillzeit bleibt ein Saisongeschäft.

Welchen Vorteil bietet das Standort Mecklenburg-Vorpommern für die Ansiedlung eines innovativen Startups?

Bräuer: In Mecklenburg-Vorpommern nehmen Landwirtschaft und Ernährungsindustrie traditionell einen großen Stellenwert ein. Das führt zu wichtigen Synergien. Darüber hinaus gibt es an jeder Hochschule und Universität des Landes Fachbereiche und Initiativen, die speziell die Belange der Ernährungswirtschaft zum Gegenstand von Lehre und Forschung machen. So können gemeinsam mit der Industrie Forschungs- und Entwicklungsvorhaben auf den Weg gebracht und die Ausbildung qualifizierter Arbeitskräfte sichergestellt werden. All das bietet auch Startups einen guten Raum, ihre Ideen in Sachen Ernährungswirtschaft umzusetzen. Da kann schnell mal etwas auf dem Feld und im Stall erprobt oder im Labor produziert werden.

Quelle: allgemeine fleischer zeitung, 15. Juni 2022, Autor: Torsten Holler