Mecklenburg-Vorpommern - Vorreiter für Erneuerbare Energien: Keiner will in die Röhre schauen

Es werden viele, sehr unterschiedliche Bilder über Mecklenburg-Vorpommern gezeichnet und manchmal ist man von der Ambivalenz überrascht, die dieser „Schönheitsfleck Europas“ hervorruft - gerade gegenwärtig. „MV“ ist eines der beliebtesten Urlaubsziele, aber es gibt schon lange keinen Grund mehr es allein darauf zu reduzieren.

Getragen von einem Masterplan Gesundheitswirtschaft der Landesregierung, in dem es um die Zusammenführung der natürlichen Ressourcen mit den wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Potenzialen des Landes geht, hat sich dieser Bereich zu einem stabilisierenden Wirtschaftsfaktor entwickelt – mittlerweile ist jeder fünfte Erwerbstätige im Land in diesem Sektor beschäftigt. Zwischen Wismar und Anklam hat sich ein erfolgreiches Netzwerk von diversen Hochschulen, Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen etabliert, das sich in den Bereichen Biochemie, Molekularbiologie, Medizin, Agrartechnologie und Lebensmittelforschung teilweise auf internationalem Spitzenniveau bewegt.

Ernährungswirtschaft mit hohem Stellenwert

Die Ernährungsindustrie nimmt traditionell einen großen Stellenwert ein, sie profitiert von der landwirtschaftlichen Prägung des Landes, die mehr als die Hälfte der Landesfläche einnimmt. Der Schwerpunkt liegt deutlich im Pflanzenbau, der zu den professionellsten in ganz Europa zählt. Die Nähe von einheimischer Land- und Ernährungswirtschaft führt zu wichtigen Synergieeffekten. Hochschulen und Universitäten setzen auf technologische Innovationen und radikale neue Ansätze, wenn es darum geht eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren und gleichzeitig gegen die drohenden Folgen des Klimawandels anzugehen. Das vom BMBF mit 8 Mio. EUR geförderte Bündnis ArtIFARM (Artificial Intelligence in Farming) verfolgt beispielsweise das Ziel eine zukunftsweisende, intelligente Landwirtschaft mit digitaler und (teil-)autonomer Infrastruktur zu etablieren. Dazu gesellt sich die gerade gestartete millionenschwere Forschungsinitiative der Fraunhofer Gesellschaft „Biogene Wertschöpfung und Smart Farming“. All das bietet auch Startups einen guten Raum ihre Ideen in Sachen Land- und Ernährungswirtschaft umzusetzen, zudem profitiert man im MV von günstigen Infrastrukturkosten. Das Rostocker FoodTech Innocent Meat hat sich das zu Nutze gemacht und arbeitet an einer umfassend automatisierten Lösung für die Herstellung von zellkulturbasiertem Fleisch aus dem Bioreaktor.

Spitzenplatz bei Windenergie

Die Natur prägt das Gesicht des Landes. Schon allein deshalb steht die ökologische Modernisierung der Wirtschaft, die Ressourcen schont und die Umwelt weniger stark belastet, ganz oben auf der Agenda. Im Bereich Windenergie nimmt MV einen Spitzenplatz ein, sowohl was die Nutzung aber auch die Erzeugung anbelangt. Mit Nordex hat hier einer der größten globalen Windkraftanlagen-Hersteller seinen Sitz. Sowohl das Unternehmen, als auch die gesamte Branche, durchleben aktuell schwierige Zeiten. Der Krieg in der Ukraine führt allerdings vor Augen, dass die Umstellung der Energiegewinnung auf nachhaltige, umweltfreundliche Technologien nicht nur aus klimatischer Sicht zügig vorangetrieben werden muss. Als Flächenland mit seiner langen Küste bietet sich MV als Standort für Windenergieanlagen an. Aktuell drehen sich hier mehr als 2.100 solcher Windmühlen mit einer Gesamtleistung von 4.600 MW, 230 davon offshore in der Ostsee.

Biogas und Wasserstoff als weitere Optionen

Hinzu kommt die Nutzung der Sonnenenergie und die der Biomasse. Biogas-Anlagen der MELE Gruppe aus Torgelow sind wie die Nordex-Windräder in vielen Teilen der Welt zu finden. Da sich Sonnenlicht und Windkraft schwerlich mit dem tatsächlichen Bedarf synchronisieren lassen, benötigt man Speichertechnologien. Und auch hier liegt MV mit Pionieren der grünen Energiewende wie der APEX Group vorne. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Rostock/Laage ermöglicht es seinen Kunden ihre konventionelle Energieversorgung auf grünen Wasserstoff umzustellen. Gemeinsam mit etablierten Forschungseinrichtungen, wie z.B. dem Leibniz-Institut für Katalyse, wird zudem eine Lösung für die chemische Speicherung von Wasserstoff entwickelt. Bereits heute haben Unternehmen, denen ihr CO2-Footprint wichtig ist, in MV gute Möglichkeiten, ihren Energiebedarf zu einem hohen Anteil aus grüner Energie zu decken. Das, was früher noch wegen des hohen Anteils Erneuerbarer Energien hinsichtlich der Kosten ein Standortnachteil war, kehrt sich gerade ins Gegenteil um. 

Start-up-Szene wird erwachsen

Die regionale Startup-Szene entwickelt sich dynamisch und ist nicht nur erwachsener, sondern auch selbstbewusster geworden. Gründerinnen und Gründer profitieren von kurzen Wegen und treffen auf eine Landespolitik, die sich offen für die Bedürfnisse der Innovationstreiber zeigt. In jüngster Vergangenheit wurden die sechs regionalen Technologiezentren um sechs digitale Innovationszentren ergänzt, die Startups dazu einladen aktiv bei der digitalen Transformation in MV mitzuwirken.

Ausblick

Nord Stream 2, aber auch die Insolvenz der MV Werften dominieren im Moment leider das Bild der Öffentlichkeit von Mecklenburg-Vorpommern – zu Unrecht. Hier hat keiner vor in „die Röhre“ zu schauen.  Das Bundesland besitzt reichlich Potenzial, wenn es darum geht, starke Antworten auf einige der wichtigsten Zukunftsfragen zu finden. So ist Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise das erste Bundesland, das sich bereits heute rechnerisch zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien versorgen kann.

Quelle: VentureCapital Magazin Sonderausgabe "Standorte, Regionen & Technologien - 2022", Mai 2022, Autor: Uwe Bräuer & Martin Schwarz