Fleischloser Fleischgenuss aus der Petrischale

Ein Rostocker Start-up entwickelt eine Technologie zur Herstellung von kultiviertem Fleisch. Wie es schmeckt.

Sie ist sich sicher: „Da merkt man keinen Unterschied“, meint Laura Gertenbach: „Noch etwas weich, aber es schmeckt wie Schweinefleisch aus dem Supermarkt“, sagt die Rostocker Firmengründerin. Das ist es aber nicht. Probierstunde im Labor des Rostocker Start-up Innocent Meat: Eineinhalb Jahre haben Gertenbach und ihr Mitgründer Patrick Inomoto an einem Verfahren für kultiviertes Fleisch aus der Petrischale gearbeitet. Vor wenigen Tagen haben sie ihr erstes im Labor gewachsenes Hack auf die Gabel genommen. Noch dürfe sie es aber nicht in den Verkehr bringen, selbst aber probieren. „Das hat Geschmack“, versichert die Betriebswirtschaftlerin und Informatikerin. Sie wisse schließlich, wovon sie rede als Bauerntochter und Fleischkennerin mit eigenem Fleischgeschäft.

Promotionsstelle ausgeschlagen

Ernährung der Zukunft aus Rostocker Laboren: Für Gertenbach, Inomoto und die sechs Mitarbeiter ihrer Technologiefirma ist der Firmenname ihr Konzept: Innocent Meat – unschuldiges Fleisch. Ihre Idee: Traditionellen Fleischverarbeitern einen reibungslosen Übergang zu kultiviertem Fleisch zu ermöglichen und mit der Produktion von zellbasiertem Fleisch die Abhängigkeit von der traditionellen Landwirtschaft zu überwinden, werben die Rostocker für ihre Verfahrensentwicklung. Firmengründer und Biochemiker Inomoto hatte die Idee einst so überzeugt, dass er selbst eine sichere Promotionsstelle in der Schweiz ausschlug und lieber in Rostock blieb – auf einer Wellenlänge mit Start-up-Frau Gertenbach: „Eine Firma ist schließlich wie eine Heirat.“ Und die hält: Inzwischen haben die Rostocker ein Verfahren entwickelt, mit dem Fleisch produziert werden kann, das auf von Tieren gewonnenen Zellen basiert, die anschließend kultiviert und mit Wachstumsfaktoren pflanzlichen Ursprungs zu einem Fleischstück in einem Bioreaktor heranwachsen könnten. Angesichts von Klimabelastung, wachsender Weltbevölkerung und zunehmender Kritik an nicht immer gewährleistetem Tierwohl ein Zukunftsthema, meint Gertenbach.

Fleisch klimagerechter produzieren

Schlachtprobleme hätten sie seinerzeit zur Entwicklung neuer Verfahren der Fleischherstellung gedrängt. Sie sei „nicht ideologisch getrieben“, sagt die Bauerntochter. Seit Jahren führe sie ein Fleischgeschäft auf dem Hof ihres Vaters in der Rostocker Region, inzwischen nur noch online. Hochwertiges Fleisch wolle sie anbieten. Das verlange aber auch eine Schlachtung mit möglichst wenig Stress für die Tiere. „Alles andere hat nichts mit Qualität zu tun“, sagt die 38-Jährige. Kurze Transportwege könnten die herkömmlichen großen Schlachthöfe aber nicht bieten – und regionale Verarbeiter fehlten. Zudem hätten gerade auch die letzten vielen Trockenjahre mit extremer Dürre gezeigt: „Der Klimawandel ist real“, meint Gertenbach. Da könne das Rostocker Fleisch aus dem Bioreaktor eine Alternative sein, um klimagerechter zu produzieren. „Die Folgen des Klimawandels sind durch Software allein nicht zu lösen“, betont Gertenbach.

Finanzinvestoren setzen auf Rostocker Technologie

Der fleischlose Fleischgenuss kommt auch bei Investoren an: „Die ersten haben uns angesehen, als wären wir Aliens, und unsere Idee wegen ähnlicher Konzepte abgetan“, erinnert sich Gertenbach. Ihr Plan, als erstes Unternehmen eine Technologie zu entwickeln, die es jedem Verarbeiter ermöglicht, im eigenen Werk kultiviertes Fleisch direkt selbst herzustellen, hat dann aber doch überzeugt. Nach dem Interesse und der Unterstützung des internationalen Risikokapitalfonds Big Idea Ventures mit Sitz in New York stellt inzwischen auch MV dem Startup Kapital zur Verfügung. Gemeinsam mit einem Privatinvestor hat die mit Landesgeld finanzierte Schweriner Beteiligungsgesellschaft Genius Venture Capital (GVC) nun bereits in einer zweiten Finanzierungsrunde ihr Engagement erhöht. Mit der Landeshilfe könnten aussichtsreiche Technologiefirmen früh mit Kapital ausgestattet werden, begrüßt GVC-Chef Uwe Bräuer die Hilfe des Wirtschaftsministeriums. Unternehmen wie Innocent Meat seien ein gutes Beispiel, wie der vom Land mit 15 Millionen Euro ausgestattete und von der GVC verwaltete Venture Capital Fonds MV bei der Realisierung von innovativen Vorhaben zu einem Zeitpunkt unterstützen könne, wenn private Investoren oft noch nicht einsteigen wollten.

Land stockt Risikokapital auf

Insgesamt seien aus dem Fond mittlerweile 13 Unternehmen unterstützt worden, teilte das Wirtschaftsministerium mit. In den vergangenen 14 Jahren habe das Land Entwicklungen in 37Technologiefirmen mit Risikokapital mitfinanziert. Zudem habe das Land unter anderem über die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft MV (MBMV) mithilfe der EU 12,4 Millionen Euro an Risikokapital für 30 Firmen bereitgestellt. In den kommenden Jahren soll es noch mehr werden: Inzwischen bereite das Land die Vergabe von weiterem Risikokapital vor. So sei in den kommenden Jahren eine Aufstockung auf weitere 37,5 Millionen Euro vorgesehen.

2024 erste Demonstrationsanlage

Das Engagement könnte sich rentieren: Zunächst Hack, später auch Würstchen oder Steaks aus Fleischmasse aus dem Bioreaktor – eineinhalb Jahre haben die Rostocker an ihrem sauberen Fleisch und der Technologie geforscht. „Der Herstellungsprozess steht“, sagt Gertenbach, die biologischen Ingredenzien auch. Im kommenden Jahr sollen erstmals wöchentlich bis zu vier Kilogramm des kultivierten Fleisches die Bioreaktoren verlassen. Ein Anfang: Ab 2024 wollten die Fleischkenner dem Markt eine Demonstrationsanlage präsentieren – „die Vorstufe für den Markteintritt“, sagt Gertenbach.

Zu lange Zulassungsverfahren

Der wird aber noch dauern: Durch lange Zulassungsverfahren drohen die Entwickler in Deutschland und Europa ins Hintertreffen zu geraten. Was hierzulande drei bis vier Jahre dauere, sei in den USA in einem Jahr erledigt, kritisiert Gertenbach die langen Genehmigungsverfahren. „In Deutschland als Land der Idee geht kaum etwas voran“, bemängelt sie den fehlenden Förderkurs hierzulande. Europa müsse bei den Genehmigungsverfahren schneller werden und nachziehen, sonst gingen Startups verloren oder würden von ausländischen Investoren weggekauft. Noch wird es dauern, bis die ersten Würstchen aus kultiviertem Fleisch aus der Rostocker Anlage auf den Tellern liegen. Mit der Zulassung sei wohl erst 2027 zu rechnen. „Aber ich lasse mich gern überraschen, wenn es schneller gehen sollte“, sagt Gertenbach. Die Rostocker Gründer wollten daher zunächst auf ausländischen Märkten in den USA oder Südostasien mit ihrer Technologie landen. Bei einem ersten Auftritt bei einer der weltgrößten Ernährungsschauen in Singapur sorgten die Rostocker schon mal für Aufsehen.

Klimafreundliche Produktion im Kommen

Die Verarbeiter machen indes Druck: Die ersten hätten ernsthaftes Interesse an dem Verfahren bekundet und Kooperationsprojekte geschlossen, hieß es. Der Einzelhandel stelle sich längst darauf ein, dass immer mehr Kunden auf eine klimafreundliche Fleischproduktion Wert legten. Für Laura Gertenbach konnte die erste Kostprobe in der vergangenen Woche den Erwartungen jedenfalls standhalten. „Da gibt es keinen Unterschied zu herkömmlichem Fleisch“, meint die junge Frau – für sie bedenkenloser Genuss, arzneimittelfrei auf Basis tierischer Zellen und pflanzlichen Nährmitteln.

Quelle: Schweriner Volkszeitung, 2.11.2022, Autor: Torsten Roth